„neu/wagen“: Die Chipkrise und ihre Folgen — Chancen für die lokale Wirtschaft in Niedersachsen

Von Prof. Dr.-Ing. Holger Blume. Die Chipkrise der letzten Jahre hat dramatisch verdeutlicht, wie sensibel die Produktion unter-schiedlicher Güter von der verlässlichen Lieferung von modernen leistungsfähigen Halbleiter-Bauelementen („Chips“) abhängt. Viele Bürger*innen haben erlebt, dass die Lieferung bestimmter Produkte wie z.B. PKWs nur mit sehr großen Lieferz eiten möglich war, weil z.T. einzelne Chips für ein Fahrzeugmodell nicht verfügbar waren. In den Medien wurden immer wieder spektakuläre Beispiele benannt, bei denen beispielsweise Fahrzeug-Hersteller bestimmte Waschmaschinen-Serien aufgekauft haben, nur um die dort verbauten Microcontroller entnehmen zu können. Diese Abhängigkeit wird sich aller Voraussicht nach in den nächsten Jahren noch dramatisch vergrößern, da alle Prognosen vorhersagen, dass die Anzahl der verbauten Chips in Industrie- und Konsum-Produkten sich bis zum Jahre 2030 verdoppeln wird. Weiter verschärft wird diese Krise dadurch, dass der Schwerpunkt der Halbleiter-Produktion in Asien liegt.

So produziert der taiwanesische Halbleiter-Produzent TSMC (Taiwan Semiconductor Manufacturing Company) beispielsweise 92 Prozent der besonders wichtigen Logik-Chips, die eine Strukturgröße (kleinste Strukturgröße auf dem zu fertigenden Chip) von weniger als zehn Nanometer haben (ein Nanometer = 1 Millionstel Millimeter). Insgesamt hängt die weltweite Wirtschaft entscheidend von der Halbleiter-Produktion in Asien ab. Etwas siebzig Prozent der weltweit gefertigten Chips stammen aus Asien (hier insbesondere Taiwan, China, Japan, Südkorea). Bedingt durch die politischen Spannungen in diesem Raum erscheint es aber möglich, dass es zu einer Besetzung Taiwans durch China kommen könnte. Dies würde eine weltweite wirtschaftliche Katas­trophe auslösen, da somit ein wesentlicher Bestandteil für Technologie-Produkte weltweit entfallen würde.

Diese sich zunehmend verschärfende Situation wird beispielsweise eindrücklich in dem sehr lesenswerten Buch des amerikanischen Historikers Chris Miller „Chip War – The fight for the world’s most critical technology“ beschrieben.

Da diese Gefahr weltweit erkannt wurde, versuchen die westlichen Länder diese gefährliche Abhängigkeit sukzessive aufzulösen. Auch in Europa und in Deutschland wird von Politik und Wirtschaft entscheidend dagegen gearbeitet. Beispiele hierfür sind unter anderem die Verkündung des sogenannten EU Chips Act. Ziel dieses von der europäischen Union erarbeiteten Plans ist es, die europäische Chip-Produktion in kürzester Zeit zu verdoppeln.

 

In Deutschland sind im letzten Jahr bedeutende Ansiedlungen von Halbleiter-Fabriken angekündigt worden. Das herausstechende Beispiel hierfür ist die Ansiedlung der Intel Halbleiter-Fabrik in der Nähe von Magdeburg. Diese Ansiedlung wird, wie im Juni 2023 verkündet wurde, vom Bund mit 10 Milliarden Euro unterstützt werden. Intel verfolgt hier das ehrgeizige Ziel, bereits im Jahr 2027 mit der Produktion zu starten und zu diesem Zeitpunkt im Werk bereits 7000 Personen zu beschäftigen. In diesem Werk sollen Chips (unter anderem für die Automobilindustrie) bis zu einem Technologieknoten von 3 nm (feinste Strukturgröße) gefertigt werden. Damit wird eine der weltweit fortgeschrittensten Chip-Produktionen in Deutschland entstehen. Weitere Beispiele für neu entstehende Halbleiterfabriken sind die Werke von Bosch oder Wolfspeed (im Saarland). Zurzeit wird sogar diskutiert, ob TSMC in Deutschland ein Werk aufbaut (gegebenenfalls in der Nähe von Dresden).

Wenn man von diesen großen Halbleiterfabriken, die pro Fabrik Investitionen im Milliardenbereich erfordern, absieht, dann muss man den Blick auf die deutsche Elektronik-Industrie und hier auch auf den Mittelstand richten. Dort ist leider erkennbar, dass die Verfügbarkeit von Chip-Design-Kompetenz in den letzten Jahren ebenfalls dramatisch abgenommen hat. Auch hier hat man sich darauf verlassen, dass elektronische Schlüsselprodukte am Markt stets verfügbar sein werden und nicht im eignen Hause entworfen werden müssen. Um aber zukunftsfähige Produkte mit hohem Alleinstellungsmerkmalen anbieten zu können, benötigt man eigene IP (Intellectual Property).

Welche Rolle spielen Universitäten in diesem Kontext?

 

Universitäten können die in der Industrie und im Mittelstand fehlende Design-Kompetenz in Form ihrer Mikroelektronik-Institute bieten. Universitäten können auch zielgerichtet Kompetenz in diesem Bereich vermitteln (industrielle Weiterbildung). Insgesamt ist man in der Industrie in den letzten Jahren dem vielfach zitierten Satz des sehr bekannten amerikanischen Forschers Jan Rabaey (Universität Berkeley) gefolgt, der es folgendermaßen formuliert hat: „Software is a short way to success!“. Nun muss man aber vielfach diesen Satz ergänzen durch den Zusatz „but, own Hardware IP is the sustainable way to success !”.

Am Beispiel der Arbeiten und Kooperationen des Instituts für Mikroelektronische Systeme (IMS) der Leibniz Universität Hannover  durch die Professoren  Dr.-Ing. Holger Blume und Dr.-Ing. Bernhard Wicht kann exemplarisch gezeigt werden, dass in Kooperationsprojekten mit der Industrie und mit dem Mittelstand erfolgreich wichtige Chips entwickelt werden können. Beispiele hierfür sind Chips für leistungsfähige digitale Hörgeräte, Controller-Chips für Energy Harvesting Systeme, Chips für die Kommunikation in der Tiefbohrtechnik (Hochtemperatur-Elektronik), rechenleistungsstarke Prozessoren für das autonome Fahren, Power Management-Chips zur DC-AC-Umsetzung in PV-Modulen (Photovoltaik) mit hocheffizienten GaN-Leistungsschaltern,
hochkompakte Spannungsversorgungs-Chips für Wearables. All diese Chips wurden im Institut konzipiert, entworfen und realisiert. Diese industriellen Kooperationsprojekte zeigen, dass die enge Kooperation zwischen Instituten und Industrieunternehmen im Bereich der Mikroelektronik es ermöglicht, IP für den Industriepartner zu schaffen, der ein entscheidendes Alleinstellungsmerkmal darstellen kann.


Zusammenfasend kann man die Präsidentin der europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, zitieren, die bei der Verkündung des EU-Chipacts sehr kurz und sehr prägnant formuliert hat:
„There is no digital without those chips”. Bedenken Sie also bei der Konzeptionierung Ihrer nächsten innovativen Produktgenerationen, ob eigene elektronische IP in Form von hochintegrierten Chips für Ihr Produkt nicht solch ein entscheidendes Alleinstellungsmerkmal schaffen kann. Als Möglichkeit die Arbeiten des IMS kennenzulernen und in einen ersten Erfahrungsaustausch zur Generierung von neuen (elektronischen) Produktideen zu treten, bietet sich eine Mitarbeit im vom IMS angebotenen Arbeitskreis „Hybride Geschäftsmodelle“ im Rahmen des Verbundprojektes neu/wagen an.

 

Unser Experte:

 

Prof. Dr.-Ing. Holger Blume ist Leiter des Instituts für Mikroelektronische Systeme (IMS) an der Leibniz Universität Hannover . Im Rahmen des Automotive-Transformationsnetzwerks „neu/wagen“ für Unternehmen der Fahrzeug- und Zuliefererindustrie in der Region Hannover/Hildesheim führt Blume den Arbeitskreis „Hybride Geschäftsmodelle".
Interessierte Unternehmen sind zur Teilnahme an diesem sowie den weiteren Arbeitskreisen „CO2-neutrale Mobilität“, „Kreislaufwirtschaft“ und „nachhaltige Produktion“ eingeladen.