„neu/wagen“: Unsicherheit bei CO2-neutraler Mobilität?

Von Prof. Dr.-Ing. Lars-O. Gusig. Nach unzähligen Forschungsprojekten und anfänglichen technischen Problemen konnten die meisten Fahrzeughersteller inzwischen einen Großteil ihres Produktportfolios erfolgreich auf alternative Antriebstechnologien umstellen. Noch vor zehn Jahren, zu Zeiten des großen Förderprogramms „Schaufenster Elektromobilität“, war es durchaus offen, welche Technologie sich am Markt durchsetzen würde. Neben dem rein batterieelektrischen Antrieb (BEV) wurden verschiedene Hybrid-Varianten, Range-Extender, Brennstoffzellen (FCEV) oder auch die Verbrennung von Wasserstoff zunächst parallel betrachtet. Nachdem das Thema Reichweite und Kosten der Batteriezellen dramatische Fortschritte gemacht hat, hat sich branchenweit im PKW-Markt der reine BEV durchsetzen können. In den letzten acht Jahren konnten allein die deutschen Hersteller über 45 Markteinführungen realisieren. In praktisch allen Segmenten steht nun eine große Auswahl zur Verfügung.

Unabhängig von dieser (durch die meisten Hersteller inzwischen getroffenen) Technologieentscheidung herrscht bei Kunden und Zulieferern entlang der Wertschöpfungskette immer noch große Unsicherheit. Natürlich weisen auch die besten BEV-Fahrzeuge grundsätzlich andere Eigenschaften als die bisher gewohnten Verbrennerfahrzeuge auf. Neben dem oft genannten Thema Reichweite ist das Thema Wirkungsgradkette „Well-to-Wheel“ oft nicht bekannt. Der enorme Vorteil des BEV-Antriebs kombiniert mit regenerativer Stromerzeugung liegt im unerreicht hohen Wirkungsgrad. Hier scheiden zum Beispiel Wasserstoffantrieb, e-Fuels etc. für massenhafte Anwendungen im PKW-Sektor grundsätzlich aus. Man bräuchte etwa viermal so viel installierte PV- oder Wind-Leistung zur Stromerzeugung.

 

Das ist wirtschaftlich nicht vorstellbar. Dennoch wird die Wasserstoffanwendung natürlich für viele weitere Anwendungen (Schwerlastverkehr, Überlandbusse/-bahnen u.ä.) berechtigt sein, hier ist eine Technologieoffenheit unbedingt notwendig. Solange aber das Verständnis für die Gründe dieser differenzierten Technologieentscheidungen nicht vorhanden ist, werden notwendige Investitionsentscheidungen zu Fahrzeugflotten, Ladeinfrastruktur oder auch der Zulieferkomponentenentwicklung herausgeschoben und bedrohen die unternehmerische Zukunft.

Durch zwei Jahre inzwischen merklich zunehmende BEV-Zulassungszahlen, verstärkt durch die Energiepreissituation des vergangenen Jahres, sollte inzwischen allen Akteuren der grundsätzliche Trend klar sein. Oft können für Neuentwicklungen noch Fördermittel genutzt werden. Der neue Markt bietet also aktuell große Chancen, ein Beharren auf nicht-zukunftsfähigen Technologien kann das Unternehmen dagegen grundlegend gefährden.

Unser Experte:

 

Prof. Dr.-Ing. Lars-O. Gusig leitet das Institut für Konstruktionselemente, Mechatronik und Elektromobilität (IKME) an der Hochschule Hannover. Im Rahmen des Automotive-Transformationsnetzwerks „neu/wagen“ für Unternehmen der Fahrzeug- und Zuliefererindustrie in der Region Hannover/Hildesheim führt Gusig den Arbeitskreis „CO2-neutrale Mobilität“. Interessierte Unternehmen sind zur Teilnahme an diesem und drei weiteren Arbeitskreisen und Workshops eingeladen.